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Berlin. Turnhaus. Jack. Profiboxer. - Agentur FREITAG.
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Berlin. Turnhaus. Jack. Profiboxer.

Berlin. Turnhaus. Jack. Profiboxer.

Hamburg, Schneegestöber, Verkehr schleppt sich im Schneckentempo durch die Hansestadt. Es dauert knapp 90 Minuten, sich durch Hamburg zu fräsen. Auf der A24 gleiten wir dann so dahin, Schnee und Regen, Regen und Schnee, blöd zu fahren. Besonders dann, wenn man einen Termin hat, der noch ca. 250 Kilometer entfernt ist. Einen Termin mit Jack Culcay, Profiboxer und klasse Typ. Dafür müssen wir nach Berlin in den Olympiapark. Punktlandung! Pünktlich rollen wir den Berg zum Eingang des Olympia Parks Berlin hoch. Unser Ziel ist das „Turnhaus“ (1938 fertiggestellt), passt ja ein bisschen.

„Moin, wir kommen aus Hamburg und sind mit Jack Culcay verabredet“, sage ich an der Schranke zum Eingang in den Olympiapark. Ein 2 Meter Schrank, der ziemlich böse schaut, wird plötzlich sehr freundlich: „Na dann, hier rechts, da vorn links und an der Glastür rein. Und schöne Grüße, wa.“ Hier kennt man Jack und man mag ihn, das merkt man sofort.

 

Ich treffe Jack wie verabredet direkt vor der Tür, er ist wie immer gut gelaunt, herzlich und offen. Natürlich ist er pünktlich, natürlich ist dieses Treffen im Sauerland Box Stall kein Problem und natürlich können wir „hier machen, was wir wollen“. Jack hat es vorbereitet, deshalb ist es kein Problem. Also rein ins Turnhaus im Olympiapark Berlin. Riesen Empore mit massiver Steintreppe in den ersten Stock, dingdong* an der Geschäftsstelle, auch hier wieder ein nettes „Hallo, herzlich willkommen!“ und drin sind wir. Durch die nächste Tür und wir sind im Gym. Hier ist es warm, hier ist es aufgeräumt, hier riecht es nach harter Arbeit, jedoch keineswegs unangenehm. (So wie beim Eishockey ?

Arrogante Boxer

… findet man hier keinen einzigen. Boxer sind arrogant, überheblich, unhöflich, sie sind Wichtigtuer und sowiso komische Typen? Sagt wer? Jemand, der entweder keine Ahnung hat oder noch nie mit Boxern (Profis) wirklich zu tun hatte. Hier nimmt sich keiner wichtig, ausnahmslos alle begrüßen uns sehr herzlich und fragen interessiert warum wir da sind. Mit Georg Bramowski  (Trainer) gibts einen guten Smalltalk bevor er „seine“ Truppe zum Training begrüßt und den heutigen Trainingsablauf erklärt. Seine Truppe, das sind junge Boxer, die gerade einen Profivertrag bekommen haben und im Training fit für die Zukunft gemacht werden, und eben Jack. Jack übrigens ist vor allen anderen da und er geht auch als letzter, nur mal so nebenbei. Ulli Wegner habe ich heute noch nicht gesehen, aber gehört, seine Stimme ist schon ziemlich markant und bekannt. „Heute wird es eine ganz lockere Einheit, wir wärmen an mit 8 Minuten Seil, ein bisschen Gymnastik und 12 Runden am Sandsack.“ Wer schon mal 8 Minuten am Stück Seil gesprungen ist, weiß, dass das schon mal eine Ansage ist, zumal hier Tempowechsel und Schlagzahl verändert werden, wenn „Dschordsch“ es ansagt. Es ist so krass zu sehen, wie wenig es diesen total durchtrainierten Maschinen  ausmacht, und doch, nach knapp 6 Minuten habe ich eine kleine Schweißperle bei einem Boxer an der Stirn gesehen. Gymnastik! Trainer Bramowski, übrigens selbst fast 160 Kämpfe abgeliefert und nur ein Motorradunfall konnte seine Karriere beenden, macht jede Übung vor. Und zwar genau so, wie sie aussehen soll! Traut man dem (fitten) schlacksigen Übungsleiter auf den ersten Blick gar nicht zu. Und jetzt gibt es schon einmal die eine oder andere lautere Ansage an die Boxprofis. Immer direkt, laut, präzise mit einer gesunden Portion Humor. Die jungen Burschen probieren ihn hier und da aus der Reserve zu locken, ein bisschen Zeit in den kurzen Pausen zu gewinnen, diese Rechnung ist aber ohne „Bramme“ gemacht, wie sein langjähriger Cheftrainer Ulli Wegner ihn nennt.

Das Licht geht an

…so ungefähr kann man es beschreiben, wenn Ulli Wegner den Trainingsraum betritt. Er ist eine Persönlichkeit. Auch er begrüßt mich nett, fragt wie die Anreise war und was in Hamburg sporttechnisch denn bloß los ist. (Muss er nicht machen, macht er aber!)  Zum Sportszenario kann ich nur wenig sagen, auch, weil ich selbst zu wenig davon verstehe. Ist auch heute kein Thema. Ich bin da wegen Jack, „Golden Jack“ Culcay, der nach dem Kommando: „Ok, Pause“ immer noch ein bisschen weitermacht. In den kurzen Pausen spricht Ulli Wegner mit seinen Schützlingen, fragt was gestern los war und was noch ansteht. Und er bekommt vernünftige Antworten, man merkt was er für eine Respektsikone ist, die Jungs saugen seine Tipps und Geschichten nur so auf. Mittlerweile sind alle Boxer klitschnass. Kein Wunder, hier ist die Temperatur auf 26 Grad eingestellt. „Bandagen an und ran an die Säcke, und wir lassen es ruhig angehen.“ Ruhig? Hier ist nichts ruhig, die Jungs atmen schwer und tief, bei jedem Schlag prusten sie Luft heraus, ihre Handschuhe knallen gegen die schweren Ledersäcke – alter Schwede, 3 Minuten klatscht und knallt es an jedem Sack. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, dass ein Mensch diese Treffer einstecken muss. Alle sind fleißig, alle geben Gas, alle sind konzentriert und total fokussiert. Einer aber doch immer noch ein bisschen mehr. Jack. Es knallt bei ihm doch immer ein wenig doller und öfter im 3-Minuten-Takt. Wenn „Bramme“ die letzten 30 Sekunden ansagt ist es so, als wenn man den nicht vorhandenen Stromschlaggürtel ein wenig hochdreht und Jack holt nochmal 10% (mindestens) mehr raus, was sich in Schlaghärte und Geschwindigkeit wiederspiegelt. Ich will damit keinesfalls sagen, dass der Rest der Truppe lahm ist, um Gottes Willen, das sind alles Maschinen, aber diesen kleinen Unterschied merkt man schon. Gong* 12 Runden à 3 Minuten Vollgas am Sack sind vorbei und alle (ja, auch Jack) atmen tief durch, regenerieren, wischen sich Schweiß aus den Augen, trinken Wasser und fangen langsam wieder an zu reden und Späße zu machen.

 

 

„Komm friday …

… ich mache noch ein bisschen Pratze, das ist gut für die Bilder.“ Trainer Bramowski zieht sich die Pratzen an und tänzelt im Ring, Jack schiebt locker eine linke Gerade vor und bekommt Pratz* einen Treffer auf die Backe. „Deckung Junge, Deckung,“ sagt der Trainer. Es war der einzige Treffer. Er klatscht hier in einem Tempo an die Pratzen, dass man gar nicht mitzählen kann. Hier ist nix Show oder Entertainment, wie man es aus dem Fernsehen kennt, hier gibt es keine größen Sprüche, Beleidigungen oder Rechthaberei, hier wird abgeliefert, hier ist man ganz ehrlich fleißig, hier schindet man sich, hier wird gearbeitet, nicht gelabert. Man bereitet sich auf einen Kampf vor. Nach Trainingsende dehnen alle noch zusammen, reden über Dies und Das, sind lustig, können vor allem aber auch über sich selber lachen. Nur Jack liegt noch auf seiner Blackroll und Minuten später glänzt sein verschwitzter Körper im Spiegel, während er sich beim Schattenboxen beobachtet. „Bei Jack muss jemand den Stecker ziehen, der hört von alleine nicht auf.“ so Georg Bramowski.

 

Abraham, Brähmer, Klitschko.

Nope. Dieses Mal keiner von denen. WBA-Weltmeister Jack Culcay ist Deutschlands „Boxer des Jahres“ (BOXSPORT-Magazin). „Ich bin total überrascht, weil starke Boxer unter den Favoriten waren. Tyron Zeuge hat im November einen guten Kampf gegen Giovanni De Carolis gemacht, deshalb hätte ich ihm diesen Sieg auch gewünscht“, sagte der WBA-Weltmeister im Halbmittelgewicht. So ist er, der Jack. Nett, hilfsbereit, freundlich, kein Neider, aber Achtung-Achtung!!! wenn er den Schalter auf Boxen umlegt ist er ein Roboter, ein böser Roboter, der wieder und wieder auf die selbe Stelle trümmert.

11.3. Ludwigshafen

Es kommt zu einem Kampf den es zu Amateurzeiten schon einmal gegeben hat. Jack Culcay vs. Demetrius Andrade, dieses Mal im Profibereich und es geht um Jack’s Verteidigung des Weltmeistertitels. Boo Boo, sein Kampfname und eine gute Bilanz: 23 Kämpfe, 23 Siege, 16 durch KO.  Auch für Jack eine große Aufgabe, wie er selber sagt. Er hat Respekt, weil es sich als Sportler so gehört, er hat natürlich keine Angst oder Zweifel. Weil er weiß, was er kann und weil er unfassbar viel dafür tut, topfit in den Kampf zu gehen. Er ist heiß, freut sich auf den Kampf und was das wichtigste ist: Es ist so unfassbar fit.

Culcay Tickets

Die „kleine“Einheit geht zu Ende

Klein vielleicht für die Jungs hier, die sehr konzentriert jede Einheit auf die Sekunde mit Vollgas abliefern. Eine „kleine“ Einheit würde so manchen anderen Sportler einen Muskelkater in den Körper jagen, der sich gewaschen hat und ich rede da selbstverständlich nicht von mir, sondern von Leistungssportlern. Dusche und Sauna ist angesagt, danach treffe ich Jack noch für ein Foto im Treppenhaus des „Turnhauses“ und verabschiede mich. Tolle Einblicke in den Profisport, der leider nicht immer die Plattform erhält, die er verdient. Wir sehen uns in Ludwigshafen. Dank Dir, Jack!